GOPHERSPACE.DE - P H O X Y
gophering on taz.de
# taz.de -- Wahl beim verschuldeten FC Barcelona: Flucht ins Gestern

> Die Praesidentschaftswahl bei Barça gilt als die wichtigste der
> Klubgeschichte. Favorit ist Joan Laporta, der den Verein schon
> erfolgreich lenkte.

Bild: „Wir werden es wieder tun“: Wahlslogan von Laporta, der 2010 mit Messi den Meisterpokal praesentierte

Wir spielen alle“, lautet die Botschaft des Stadionsprechers zum Anpfiff
des Geisterfußballs im Camp Nou. Sie hallt mit gewaltigem Echo durch
Europas groeßtes Stadion und soll die allein gelassenen Profis motivieren.
Am Mittwochabend klappte das gut, durch ein dramatisches 3:0 nach
Verlaengerung gegen Sevilla zog der FC Barcelona nach 0:2-Hinspielniederlage
dann doch noch ins spanische Pokalfinale ein.

[1][Verteidiger Gerard Piqué] grueßte nach seinem Tor so adrenalingeladen in
die Kamera wie der bedroehnte Diego Maradona bei der WM 1994. Der zu
Saisonbeginn noch so miesepetrige Lionel Messi hopste gluecklich ueber den
Rasen wie eine Wuestenantilope durch seltenen Regen. Barças Mannschaft, die
nicht nur jahrelange Dekadenz und eine schwere Klubkrise in den Koepfen,
sondern allein in diesem Kalenderjahr bereits 18 Pflichtspiele plus fuenf
Verlaengerungen in den Beinen hat: sie ist trotz allem lebendig.

Von der Tribuene aus verfolgten das Spektakel neben Ersatzspielern,
Ehrengaesten und Journalisten auch die drei Praesidentschaftskandidaten Joan
Laporta, Toni Freixa und Víctor Font. Lebendig ist naemlich auch die
Demokratie des Traditionsvereins, der unter allen Scheichklubs,
Sponsorenprojekten und Kommandit-AGs des internationalen Spitzenfußballs
zunehmend wie ein Solitaer daherkommt. Am Sonntag heißt es beim FC
Barcelona: Wir waehlen alle.

Jedenfalls alle, die volljaehrige Mitglieder sind (seit 2010 herrscht eine
Art Aufnahmestopp), nicht schon per Briefwahl abgestimmt haben (rund
22.000) und ein Wahlbuero im Landkreis vorfinden: den duerfen die Bewohner
Kataloniens (wo 93 Prozent der 110.290 Wahlberechtigten leben) wegen der
Pandemie nicht verlassen. Nur fuer die regionalen Parlamentswahlen vor drei
Wochen wurde eine Ausnahme gemacht. Fuer Barça gibt es die nicht. Das mag
einerseits ueberraschen, wo doch das Praesidentenamt bei „Kataloniens
unbewaffnetem Heer“ (Manuel Vázquez Montalbán) als wichtigstes, mindestens
aber prestigereichstes im Lande gilt. Es passt andererseits zum schlechten
Lauf, den der Verein gerade ueberall außerhalb des Koenigpokals hat.

## Klubfunktionaere von der Polizei abgefuehrt

Am Montag wurde er gar tief erschuettert. Affaeren, Skandale und auch
Probleme mit der Justiz galten bei Barça zwar schon laenger als normal. Dass
Fuehrungskraefte wegen Verdacht von Gesetzesverstoeßen waehrend der
Amtsausuebung von der Polizei abgefuehrt werden, hatte dann aber doch noch
mal eine neue Qualitaet. [2][Josep Maria Bartomeu, Praesident bis Oktober
2020,] und sein Spindoktor Jaume Masferrer wurden in ihren Domizilen
festgenommen, Geschaeftsfuehrer Òscar Grau und Hausjurist Ramón Gómez Ponti
an ihren Arbeitsplaetzen im Camp Nou. Das Quartett ist mittlerweile wieder
frei, die Ermittlungen laufen aber weiter.

Der breiten Oeffentlichkeit ist der Fall seit rund einem Jahr als
„Barçagate“ bekannt. Bartomeu und der als besonders sinister geltende
Masferrer sollen eine Verleumdungskampagne in den sozialen Netzwerken
gegen Praesidentenkritiker, Klublegenden und Spieler orchestriert haben.
Dafuer beschaeftigten sie obskure Dienstleister, die mutmaßlich alle
demselben Eigentuemer gehoeren, bevorzugt in Uruguay registriert sind und in
mindestens einem Fall ihren (Schein-)Firmensitz in einem Campingwagen auf
offenem Feld haben.

Die Ermittler interessiert vor allem, wo die Geldfluesse endeten, fuer die
nicht immer eine Gegenleistung festzustellen war, und ob Vereinsvermoegen
veruntreut wurde, nachdem die Auftraege eigens klein gestueckelt wurden, um
sie an den internen Kontrollmechanismen vorbeizuschmuggeln. Der Klub gilt
insofern als Geschaedigter, koennte aber moeglicherweise wegen eines
Steuerdelikts auch noch selbst verklagt werden. En passant erfaehrt der
geneigte Beobachter, dass Bartomeus Leute offenbar eine schwarze Liste
unliebsamer Journalisten unterhielten oder Mitgliederdaten weitergaben, um
ihre Propaganda auf persoenliche und politische Praeferenzen abstimmen zu
lassen.

Unter solche Praktiken und Paranoias einen Schlussstrich zu ziehen ist
Barças moralische Zukunftsfrage. Bei den Hard Facts lautet das Problem:
1,17 Milliarden Euro. Das ist der Schuldenstand. Fehleinkaeufe und der
teuerste Lohnzettel des Weltsports brachten das Budget an die Klippe, die
Pandemie stuerzte es hinunter. Es braucht Umschuldung, Einschnitte, und
alles moeglichst schnell. Sonst droht, was hier als Albtraumszenario gilt:
die Zwangsumwandlung in eine Sportaktiengesellschaft.

## Opulenter Wahlkampf

Dann waere es vorbei mit der Mitgliederherrschaft und damit auch den Wahlen.
Die aktuellen gelten wegen der prekaeren Lage als wichtigste der
Klubgeschichte. Opulent agitierten die Kandidaten mit Plakataktionen in den
Straßen Barcelonas und in Debatten zur besten Sendezeit in Radio und TV.
Als klarer Favorit etablierte sich dabei einer, der das Amt schon kennt:
Laporta, 58, Praesident zwischen 2003 und 2010.

„Wir werden es wieder tun“, lautet einer seiner Slogans, denn damals fand
er eine vergleichbare Situation vor. Barça lag wirtschaftlich darnieder und
war sportlich so abgehaengt wie zuletzt in der Champions League. Fortan
wuchs auf diesen Ruinen eine strahlende Referenz des Weltfußballs mit Messi
auf dem Platz, Pep Guardiola auf der Bank und Unicef-Logo auf dem Trikot.
[3][Zwar war auch Laportas Auftreten nicht immer einwandfrei] und wurde
sein Erbe von den Nachfolgern Sandro Rosell und Bartomeu heftig bekaempft.
Im Vergleich zu deren Integritaetsdefiziten wirkt er im Rueckblick jedoch wie
eine Kreuzung aus Nelson Mandela und Mutter Teresa. Sein Charisma und seine
Branchenerfahrung koennten ein Uebriges tun - zumal er im Ringen um den
allseits angestrebten Verbleib von Klub-Ikone Messi auf ein gutes
persoenliches Verhaeltnis verweisen kann.

Andererseits haben sich die Wege der socis i sòcies, der weiblichen und
maennlichen Mitglieder, schon oft als unergruendbar erwiesen. Darauf hofft
Freixa, der mit Naehe zur Fankurve wirbt und Laporta an den Litfaßsaeulen
attackierte, etwa mit Anspielungen auf praepotent-rauschende Discoauftritte
waehrend der ersten Amtszeit. Ob der ehemalige Klubsprecher damit sein
eigenes Stigma wettmachen kann, ist allerdings fraglich: Von allen
Kandidaten gehoert er am ehesten in die Naehe des untergegangenen Bartomeu.

Normalerweise besteht der ausgelassenste Teil des Stimmenfangs in der
Ankuendigung irrer Spielertransfers. Die entfallen diesmal angesichts der
Kassenlage.

Als prominentester Name geistert daher der von Xavi Hernández durch die
Debatten, den Font als Kopf, Herz und Seele seines Projekts praesentiert.
Sein Pech: Der ehemalige Spielmacher, derzeit Trainer bei Al-Sadd in Katar,
wollte das oeffentlich partout nicht bestaetigen. Da scheint es Font auch
nicht zu helfen, den Tennis-Ikonen-Onkel Toni Nadal als Ethikbeauftragten
im Schattenkabinett zu haben oder Laporta als Mann der Vergangenheit
darzustellen und sich selbst als einen der Zukunft: „Barça braucht ein
neues Vereinsmodell.“

[4][Zum altbekannten gehoert auch eine wohlwollende Begleitung katalanischer
Bestrebungen nach Selbstbestimmung], also einem Referendum ueber die
Zugehoerigkeit zu Spanien. Persoenlich sind Laporta und Font offene
Befuerworter auch der Unabhaengigkeit, Freixa dagegen kann man eher nicht zu
diesem Lager zaehlen. Die vor einigen Jahren noch allgegenwaertige Politik
spielte in diesem so bedeutsamen Wahlkampf trotzdem keine Rolle und soll es
laut allen Kandidaten auch danach nicht tun. Dafuer sind Barças eigene
Probleme einfach zu groß.

7 Mar 2021

## LINKS

[1] /Piques-Plaene-fuer-seinen-FC-Andorra/!5609976
[2] /Krisenjahr-des-FC-Barcelona/!5720974
[3] /FC-Barcelonas-Expraesident/!5133859
[4] /Spanischer-Fussball-und-Separatismus/!5451255

## AUTOREN

Florian Haupt

## TAGS

FC Barcelona
Wahl
Lionel Messi
Lionel Messi
Real Madrid
Fußball
Kolumne Frühsport
FC Barcelona

## ARTIKEL ZUM THEMA

Wechsel von Lionel Messi zu PSG: Teures Wunder

Messi wechselt vom FC Barcelona zu Paris Saint-Germain. Der Transfer des
millionenschweren Fußballers findet in Zeiten existenzieller Krisen statt.

Spanische Fußball-Meisterschaft: Finale in der Hitchcock-Liga

Im spannendsten spanischen Meisterschaftskampf seit Menschengedenken hadert
ausgerechnet Real Madrid mit den Unparteiischen.

Krisenjahr des FC Barcelona: Paukenschlag zum Abschied

Der Praesident des FC Barcelona erklaert seinen Ruecktritt. Er uebergibt den
Klub hochverschuldet und verraet Plaene fuer eine europaeische Superliga.

Verlässt Messi den FC Barcelona?: Fahrstuhl vom Fußballolymp

Lionel Messis Wechselposse wirft ein grelles Schlaglicht auf den mit Barca
verwachsenen Superstar. Kann er auch einen anderen Klub dominieren?

Umbruch bei Barça mit Trainer Koeman: Holländische Ideale

Der FC Barcelona kuert die Vereinslegende Ronald Koeman zum Trainer. Der
Niederlaender gilt als Erneuerer, doch die Klubopposition ist skeptisch.