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# taz.de -- Westafrika entdeckt lokale Kueche: Essen wie Gott in Mali

> Ibrahim Tounkara schwoert auf Fonio, eine Hirsesorte. Lucia Allah-Assogba
> verkauft nur Lokales. Doch mit Pizzas und Burger koennen sie sich nicht
> messen.

Mittagszeit im Quartier du Fleuve, gelegen im Zentrum von Malis Hauptstadt
Bamako: An den Straßenraendern stehen Frauen und verkaufen Obst und Gemuese.
Junge Maenner schieben schwere Karren mit gebrauchten Schuhen, Altmetall
oder Abfall durch die Straßen. Staendig hupen Sammeltaxen potenzielle
Fahrgaeste an.

Etwas versteckt findet sich das [1][Restaurant Bafing] - es ist der Name
eines 800 Kilometer langen Flusses, der durch Mali und Guinea fließt -
hinter einer offenen hellblauen Tuer. Der Inhaber Ibrahim Tounkara sitzt
mitten im Gastraum an einem kleinen Holztisch. An den Waenden haengen
verblasste Poster, die die so typischen hellbraunen Lehmbauten zeigen.
Unter den Gaesten sind Malier*innen wie Europaeer*innen.

Tounkara hoert einer Videokonferenz zu, kommentiert die Gespraechsbeitraege
und macht sich manchmal Notizen. Zwischendurch zeigt er auf eine immer
wieder auftauchende kleine rote Schnecke. Sie ist auf dem neben ihm
liegenden weißen Papier zu sehen. Auch in seinem Buero, in dem sich
Zeitungen, Buecher und Papiere stapeln, darf das kleine Kriechtier nicht
fehlen.

## Slow Food in Bamako: Ibrahim Tounkara macht's vor

„Unser Zeichen“, sagt er ueber die Schnecke, steht diese doch fuer [2][Slow
Food]. Die Anhaenger*innen dieser internationalen Bewegung setzen sich
fuer genussvolles, bewusstes und regionales Essen ein. Tounkara, ein hagerer
Mann im weißen Hemd und mit dickem, schwarzem Brillengestell, ist seit
zwoelf Jahren ihr Repraesentant im westafrikanischen Mali.

Tounkara zieht die Schublade seines Tisches auf und sucht ein paar
Broschueren heraus. Es geht um Gaerten, besondere Anbaumethoden fuer die
Sahel-Region und die Philosophie der 1989 in Italien gegruendeten Bewegung.
Ziel ist es, Nahrungsmittel in guter Qualitaet zu produzieren, die
Erzeuger*innen fair zu bezahlen und vor allem lokale Produkte zu
verarbeiten. „Wir bereiten das zu, was uns die Erde gibt.“

Um zu zeigen, wie reichhaltig die Ernte in dem Sahelstaat Mali sein kann,
holt er mehrere Paeckchen mit winzigen Koernern hervor. Fuer Couscous - Grieß,
der oft aus Weizen hergestellt und vor allem in Nordafrika konsumiert wird
- sind sie aber zu dunkel. „Das ist Fonio“, sagt er und laesst den Inhalt
durch seine Haende rieseln.

Bei Fonio handelt es sich um westafrikanische Hirse, die frei von Gluten
sind und die Chance haben, sich zum westafrikanischen Superfood zu
entwickeln. Seit einigen Monaten stehen sie abgepackt in Geschaeften und auf
Speisekarten. Fonio wird nicht nur in Mali, sondern auch in Ghana, Togo und
Benin gegessen. In Europa, vor allem in Großbritannien und Frankreich,
bieten einige Versandhaendler Fonio bereits an. „Die bereite ich heute
zusammen mit einer Erdnusssauce zu“, sagt Tounkara und deutet auf die
schwarze Tuer, die zur Restaurantkueche fuehrt.

Lokales Essen gibt es in Westafrika ueberall. Verkauft wird es meist am
Straßenrand und in Garkuechen. Neben Reis werden oft feste Breis aus Mais-,
Yams- oder Reismehl mit dickfluessiger Sauce gegessen, die stundenlang
gekocht werden. Sie machen zwar satt, haben aber nur wenig Naehrwert. Es ist
ein schnelles Essen in der Mittagspause. Doch in zahlreichen Restaurants
hat internationales Fastfood die lokale Kueche verdraengt. Mehr als Fisch,
Huehnchen, Kartoffeln und Salat stehen dort nicht auf der Speisekarte,
allenfalls manchmal ein oder zwei lokale Gerichte. Eines davon ist haeufig
Poulet Yassa.

Es handelt sich ein scharfes mariniertes Huehnchen mit Zitrone und Zwiebeln.
Seinen Ursprung hat das Gericht im Senegal. Als Zweites findet sich oft
Poulet Bicyclettes. Das „Fahrradhuehnchen“, wie der Ausdruck woertlich
uebersetzt bedeutet, steht fuer lokales Gefluegel, das in der Vergangenheit
durch die billigen Massenimporte von Tiefkuehlware aus Europa verdraengt
worden ist. Ueberall zu finden sind stattdessen Pizza, Burger, Pommes und
Cola.

In der nigerianischen Hafenmetropole Lagos wurde 2009 das erste
Schnellrestaurant der Fastfood-Kette Kentucky Fried Chicken sogar vom
damaligen Kommissar fuer Handel und Industrie eroeffnet. Es galt viele Wochen
danach noch als Attraktion. Dabei existieren in Nigeria seit Jahrzehnten
schon lokale Fastfoodketten wie Mr. Bigg’s, Kilimanjaro und Tantalizers. In
der ivorischen Wirtschaftszentrum Abidjan hat Burger King vor ein paar
Jahren eine Reihe von Filialen errichtet. Die Investitionen scheinen sich
zu lohnen: Ein Besuch im Fastfood-Lokal ist ein Familienausflug am
Wochenende wert und Statussymbol fuer die wachsende Mittelschicht.

Im Restaurant Bafing verzieht Ibrahim Tounkara bei dem Gedanken, anstatt
Fonio Burger oder Pizza essen zu muessen, das Gesicht. Es sei der immer
gleiche fade Geschmack, der ihn abschreckt, sagt er. Beim Kochen am
heimischen Herd in Westafrika entsteht dieser Geschmack, weil weniger mit
losen Gewuerzen, sondern viel mit Bruehwuerfeln von Maggi oder Jumbo gekocht
wird. Ueberall im Fernsehen, im Radio und am Straßenrand wird dafuer
geworben. Tounkara beklagt die von Fastfood ausgehenden Risiken wie
Uebergewicht und Diabetes. „Doch das haben viele Menschen bisher nicht
begriffen“, seufzt Malis erster Slow-Food-Repraesentant.

## Die „Ernaehrungsapotheke“ von Lomé

Knapp 1.800 Kilometer suedoestlich von Bamako, in Togos Hauptstadt Lomé,
erinnert sich Lucia Allah-Assogba an den Tod eines nahen Verwandten. „Es
war 2013 und er ist an Nierenversagen gestorben“, sagt er, ohne auf Details
einzugehen. Waehrend sie das erzaehlt, haelt die junge Frau im beige-orangen
Kleid einen kurzen Moment inne. Der Vorfall ließ die heute 29-Jaehrige nicht
los, weshalb sie entschied: Sie muss etwas fuer die Gesundheit und das
Wohlbefinden der Togoer*innen tun. Die sieben Millionen Menschen sollten
zu ihren Wurzeln der traditionellen Ernaehrung zurueckkehren, glaubt
Allah-Assogba. „Die falsche Ernaehrung ist die Ursache fuer die meisten
Krankheiten.“

Lucia Allah-Assogba sitzt auf einer schmalen Holzbank in ihrem Geschaeft
[3][Togosime], was uebersetzt „der Markt von Togo“ bedeutet. Auf die großen
Banner, die im Laden und neben dem Eingang haengen, hat sie außerdem die
Geschaeftsphilosophie drucken lassen: „Ihre Ernaehrungsapotheke“ ist in
großen Lettern zu lesen. In der Parallelstraße wird gebaut, und manchmal
muss sie laut gegen den Laerm der Lastwagen ansprechen. An der Kasse bedient
Verkaufsleiter Eric Assigbe gerade eine Kundin, die Fonio gekauft hat. Er
notiert den Einkauf.

Mit dem Aufbau des Unternehmens hat Allah-Assogba begonnen, als sie gerade
einmal 21 Jahre alt war. Wenn sie sich an die ersten Monate erinnert, lacht
sie. Die meisten Regale seien leer geblieben, hatte sie doch nur gut zehn
Produkte im Angebot: Oel, ein paar selbstgebackene Plaetzchen, Moringa. Auch
diese Pflanze ist in der Region hoechst beliebt, wird als Tee getrunken, in
Saucen gemischt und beim Aufpaeppeln von Babys eingesetzt. Der Geschmack ist
bitter und recht gewoehnungsbeduerftig.

Trotzdem waren die wenigen Produkte fuer die Unternehmerin allemal besser
als ein Ersatz aus Europa, China oder den USA, den es in den teuren und gut
klimatisierten Supermaerkten ueberall zu kaufen gibt. Wer genuegend Geld hat,
kann sich in Westafrika Schokolade aus der Schweiz, Hundefutter aus Belgien
oder Wein aus Argentinien leisten, von zahlreichen Angeboten aus
Frankreich, der einstigen Kolonialmacht, ganz abgesehen. Durch die Kette
Shoprite kommen in den anglophonen Laendern vermehrt suedafrikanische
Produkte auf den Markt. Nur vor Ort oder in der Region Hergestelltes laesst
sich so gut wie nirgends finden. Die Ausnahme machten bisher vor allem
Saefte und Nuesse.

Noch immer haben lokale Produkte keinen guten Ruf. Die Qualitaet sei
schlechter als die der importierten Ware, wird kritisiert. Die Verpackung
ist alles andere als ansprechend. Immer wieder sind es muffige Papiertueten,
die die Inhalte mehr verstecken als praesentieren. Ueberhaupt ist die
Beschaffung von stabilen Tueten und Dosen eine Herausforderung. Vor allem
aber erfuellt die Ware die Kriterien fuer Supermaerkte oft nicht. Dazu gehoert,
dass sie einen Barcode sowie ein Herstellungs- und ein
Mindesthaltbarkeitsdatum haben muessen, in einer Mindestmenge angeboten
werden und die Produkte nachgekauft werden koennen. Zusaetzlich hemmt die
schlechte Infrastruktur den Vertrieb außerhalb der Wirtschaftszentren und
Hauptstaedten.

Lucia Allah-Assogba hat sich davon nicht abschrecken lassen und lokal
produzierten Lebensmitteln eine Chance gegeben. „Produktion alleine hilft
nichts. Es braucht Vermarktungsstrukturen.“ Togosime besitzt mittlerweile
zwei Geschaefte und einen Lieferservice. Sollte es im laufenden Jahr trotz
Corona gut laufen, koennte zum Jahresende der naechste Laden eroeffnet werden.
Denn das Angebot waechst stetig.

Die Geschaeftsfrau dreht sich um und zeigt auf die laengst gut gefuellten
Regale aus hellem Holz. „Wir haben mehr als 600 Produkte von 150
Anbietern.“ Es wird geschaetzt, dass es in Togo insgesamt 700 bis 800 lokal
produzierte und verpackte Produkte gibt; Gemuese, Fleisch, Obst und Fisch,
was auf den Maerkten und an der Straße verkauft wird nicht mitgerechnet.

Auf einem Regal in der Mitte bleibt der Blick haften. Dort stehen mehrere
Flaschen Sekt und Wein, aber es sind ganz besondere Getraenke. Palmwein ist
zwar ueberall entlang der westafrikanischen Kueste bekannt und wird oft am
Straßenrand in kleinen Kanistern verkauft. Qualitaet und Staerke sind aber
sehr unterschiedlich. Togosime bietet auch Weißwein aus Ananas und Rotwein
aus Bissap an. Ueblicherweise werden die getrockneten Hibiskusblueten zu Saft
verarbeitet, der auf Kleidung und Tischdecken dunkelrote Flecken
hinterlaesst. Doch auch daraus laesst sich Wein gewinnen. Dieser heißt „Jour
et Nuit“, ist in braune Flaschen abgefuellt und hat einen holzigen, etwas
erdigen Geschmack, der mitunter außerdem an Zimt, Kardamom oder Muskat
erinnert. Dieser Wein ist zwar doch geschmacklich ein ganz anderer als
jener aus Weintrauben. Sicher ist jedoch eins: Er ist hundertprozentig
„Made in Togo“.

Fuer ihren Unternehmergeist hat Lucia Allah-Assogba zahlreiche
Auszeichnungen erhalten; unter anderem den Preis der jungen
Unternehmer*innen der internationalen Organisation der Francophonie.
Das war 2017 und stand in Verbindung mit einer Reise nach Paris, die ihr
viel bedeutet hat. Denn endlich akzeptierte auch ihre Familie ihre
Leidenschaft fuers Lokale und sieht es als Erfolgskonzept fuer ihr
Fortkommen. „Ich war gut in der Schule, habe Jura studiert und alle
erwarteten, dass ich als Juristin arbeite. Togosime galt als Verschwendung
meines Talents. Es gab Momente, in denen meine Eltern nicht mehr mit mir
gesprochen haben“, erinnert sich Lucia Allah-Assogba, die heute laengst ueber
die Grenzen ihres Heimatlandes bekannt ist und in diesem Jahr an einem
Workshop fuer Jungunternehmer*innen im Senegal teilnehmen wird.

Zurueck in Bamako: Ein Mitarbeiter von Ibrahim Tounkara serviert die
Erdnusssauce in einer kleinen Schale. Wer moechte, kann etwas Fleisch dazu
bestellen. Den Fonio hat er auf einem Porzellanteller gebracht. Diese Sorte
hat einen intensiveren, etwas nussigen Eigengeschmack als Couscous aus
Nordafrika. Zu kaufen gibt es ihn in verschiedenen Variationen. Vor allem
als Beilage eignet sich die Vollkorn-Variante gut. Aus den feinkoernigeren
Sorten lassen sich indes gut Breie herstellen.

Fuer Tounkara, der aus der Region um die Stadt Gao im Norden stammt, koennte
die Hirseart auch einen wichtigen Beitrag gegen Mangelernaehrung leisten. Er
steht von seinem Holztisch mitten im Restaurant auf und kommt mit wild
gewachsenem Fonio herueber, der etwas dunkler ist. Er gilt als das Essen der
Armen. „Er waechst auf Tausenden Hektar im Norden. Doch niemand erntet ihn“,
bedauert Tounkara.

Obwohl die Flaechen entlang des Nigers fruchtbar sind und sich Gemuese und
Getreide gut anbauen lassen, sind durch die unsichere Lage Nahrungsmittel
knapp. Aus Angst vor Ueberfaellen und Angriffen durch Banditen, Terroristen
und bewaffnete Selbstverteidigungsmilizen liegen vor allem im Norden und
Zentrum Malis viele Felder brach. Bedingt durch den Klimawandel lassen sich
zudem Regenfaelle immer weniger vorhersagen, was den Anbau erschwert. Das
Kinderhilfswerks Unicef schaetzt, dass mindestens ein Viertel der malischen
Kinder an chronischer Unterernaehrung leidet.

Zum Abschluss fuehrt Ibrahim Tounkara in die Kueche. Schwere Pfannen haengen
an den Waenden. In dem langgezogenen weiß gefliesten Raum spuelt eine
Kuechenhilfe Geschirr ab. Die beiden Kellner sorgen dafuer, dass das Essen
ansehnlich angerichtet und zuegig serviert wird. Außer Fonio gibt es heute
Avocado-Salat, Fisch und Pommes. Dabei steht donnerstags ueblicherweise
Widjila auf der Speisekarte. Es sind geduenstete Brotbaellchen, die mit
Fleisch und Sauce gegessen werden und aus der Region Timbuktu kommen.
Tausend Kilometer weiter suedwestlich ist das Traditionsgericht nur selten
zu finden, weshalb Bafing als Geheimtipp gilt.

## Huehnchen mit Mango oder Fakoye sind gerade gestrichen

Doch in Coronazeiten musste Tounkara seine Karte zusammenstreichen. Auch
Huehnchen mit Mango oder Fakoye bietet er nicht mehr taeglich an. Bei
Letzterem handelt es sich um ein Gericht, das an fluessigen Spinat erinnert
und aus Muskraut zubereitet wird. Auch das wird vorwiegend im Norden
gegessen.

Am Slow-Food-Gedanken haelt er dennoch fest. „Selbst in der Provinz erlebe
ich, dass lokaler Konsum ein Thema ist.“ Das spiegeln die zahlreichen
Initiativen, die in ganz Westafrika in den vergangenen Jahren entstanden
sind. Die westafrikanische Waehrungsunion UEMOA ernannte den vergangenen
Oktober sogar zum Monat des lokalen Konsums und warb in den Mitgliedstaaten
dafuer.

An einem mangelt es dennoch: an echtem politischem Willen. „Ich hisse seit
zwoelf Jahren ueberall in der Welt die Flagge fuer malische Produkte. Eine
finanzielle Unterstuetzung habe ich dafuer aber nie erhalten“, bedauert
Ibrahim Tounkara, bevor er den naechsten Teller mit Avocadosalat dekoriert.

4 Mar 2021

## LINKS

[1] https://www.facebook.com/lebafing/
[2] https://www.slowfood.de/
[3] https://www.facebook.com/togosime/

## AUTOREN

Katrin Gänsler

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